Heute könnte ich vor den Bullen nicht mehr wegrennen
Jan Miko hat Erfahrung mit dem illegalen Besprayen von Zügen, mit Verfolgungsjagden mit der Polizei und auch mit der Zusammenarbeit mit Künstlern in Bagdad, Paris und New York. Nun schreibt er ein Buch, hat gerade seine größte Ausstellung in Prag realisiert und genießt es, wenn er seine Streetart-Welt auch anderen öffnen kann.
Sie haben als 16-Jähriger mit dem Graffiti begonnen. Wie sind Sie dazu gekommen?
Es war Mitte der 90er Jahre und ich wuchs in einer Prager Siedlung auf, als Mitglied einer Generation, die verband, dass ihre Eltern nicht gerade viel Zeit für sie hatten – da sie gerade all die Möglichkeiten der neugewonnenen Freiheit, u. a. das Business, erkunden mussten. Um uns herum ist eine Lawine von Heroin gerollt und wir konnten entweder im Knast oder auf der Kunsthochschule landen. Bei mir ging es gut aus, ich wurde an der Fachschule für Kunst angenommen. Wir haben Geld für Farbe gebraucht und wir haben viel gesoffen und gefeiert. Also haben wir ab und zu auch krumme Dinger gedreht, alles bis auf Drogen, um das bezahlen zu können. In der Schule waren auch gutsituierte Jugendliche. So kam es oft zu der bizarren Situation, dass wir in ihren Limos zum Züge besprayen gefahren sind und selbst aber nur 20 Kronen in der Tasche hatten.
Was hat Sie damals am Sprayen fasziniert?
Man hat sich damit Respekt in seinem Freundeskreis verdient. Wenn man erwachsen wird und ein Junge ist, machen die Hormonen manchmal verrückte Sachen – die Pubertät. Ich musste der Beste sein. Einer bleibt hängen und ein anderer verschwindet.
Wie viele von euch, aus dieser Generation, sind in der Kunstszene geblieben?
Hätte uns das jemand gesagt, als wir angefangen haben, hätte ich es ihm nicht geglaubt: Aber Graffitielemente nutzen heutzutage viele Künstler, Maler, Modendesigner und Bildhauer. In Tschechien gibt es ein paar Hundert von uns.
Timo, ToyBox und viele andere Streetartkünstler schützen ganz bewusst ihre Identität. Sie wirken zum Teil außerhalb der Grenzen des Gesetzes. Warum arbeiten Sie offen, mit Ihrem vollen Namen?
Lang, lang ist her. Heute mach ich keine illegalen Sachen mehr, höchstens manche Projekte im Ausland. Ich brauch es nicht mehr, mich von den Polizisten jagen zu lassen – und ich würde es auch nicht mehr schaffen, ihnen davonzulaufen. Als wir jung waren, waren die 50 Jahre alt und ich war schnell. Damals war es anders.
Haben Sie mal für Graffiti eine Strafe bekommen?
Ja, damit habe ich Erfahrung. Das Bezahlen von Geldstrafen hat mich gelehrt, das Geld zu schätzen. Einmal habe ich auch eine dreijährige Bewährungstrafe bekommen. Heute habe ich dazu schon eine andere Einstellung.
Relativ riskant war auch Ihr Arbeitsaufenthalt im Irak im Jahr 2013, als Sie da mit dem lokalen Kunststudent Bahman Salah Wände bemalten.
Das stimmt. Die Führer im Irak haben Graffiti nie gemocht, weil Graffiti die gehasste westliche Kultur repräsentiert. Es hat dort dafür sogar Todesstrafen gegeben, kurz nachdem ich abgereist bin. Mit mir haben sie es erst später aufgenommen, da die Graffitis mit meinem Namen unterschrieben waren.
Auf welcher Art?
Al-Qaida hat im Jahre 2014 meine Webseiten gehackt. Plötzlich gab es da eine Al-Qaida-Fahne die sich bewegte. Das wirkt wie eine Kleinigkeit, aber sie spammen bis heute meinen E-Mail-Account voll und meine Webseite läuft bis heute nicht ganz rund.
Sind Sie noch im Kontakt mit Bahman?
Ganz minimal – aber ich weiß, dass er heute ein erfolgreicher Filmemacher ist.
Haben Sie irgendwelche Künstler als Vorbild?
Ich verfolge gerne Berlin Kids. Als Menschen inspirieren mich Keith Haring oder Jean Michel Basquiat. In der tschechischen Szene mag ich die Arbeit von Michal Škapa und Julius Reichel. Aus einem anderen Genre ist der Maler Jiří Sozamský bekannt. Er ist so ein Kämpfer, der kaum jemanden nah an sich ran lässt. Wir haben eine gemeinsame Ausstellung gehabt und er inspiriert mich stark.
Sie haben in vielen Ländern gearbeitet und reisen viel. Wie vergleichen Sie Tschechien mit anderen Ländern, was die Unterstützung der Kunst im öffentlichen Raum anbelangt?
Ich finde, es fängt langsam an zu funktionieren. Ich habe zum Beispiel an einem Projekt in Prag Karlin, das die „Hungerwand“ heißt, teilgenommen. Oder ich habe in der Metrostation Karlovo namesti mit der Unterstützung der Artwise Company gemalt. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es in Prag noch größer wird. Ich denk es macht wenig Sinn sich in dieser Hinsicht zu vergleichen. Aber wenn ich es machen sollte, dann finde ich, dass die nördlichen europäischen Länder sehr fähig sind. In Westeuropa ist es mittlerweile schon ein veraltetes Modell. Streetart ist wie eine Flüssigkeit, die sich weltweit wie über eine Treppe ergießt.
Wie kann man Streetart unterstützen?
Man kann dafür Geld und Flächen bereitstellen. Dazu gehören auch Workshops. Es geht darum, Kinder diesbezüglich zu erziehen – denen erlauben Graffitis auszuprobieren, aber auch über die Theorie, Sicherheit, Prävention zu reden. Zum Beispiel, dass die Kombination von Zügen und elektrischen Strom manchmal auch menschliche Leben kostet. Und dass Strafhandlungen auch Folgen haben können.
Warum sollte man Graffiti ausprobieren?
Ich finde es wichtig, dass Leute Kunst schöpfen. Es ist für uns natürlich, wir haben es einfach in den Genen. Schon in der Vorzeit hat jemand einen angekohlten Stock in Hand genommen und damit einen Strich auf einen Stein gemacht. Erst danach haben sie entdeckt, wie man eine Zivilisation entwirft. Ähnlich war es in New York, wo jemand den ersten Punkt an eine Wand gemacht hat, dann einen Strich und dann ging Graffiti los. Jeder malt gerne – manche mehr, manche weniger. Aber sobald man seine Angst überwunden hat, geht es.
Und wozu braucht die Gesellschaft dieses oft illegale Sache Graffiti?
Ich finde, dass es wunderbar die Uninformiertheit bricht. Graffiti funktioniert auf einer ähnlichen Art und Weise wie Regenwürmer im Dreck. Sie durchbohren einfach den Raum. So kommt Farbe an Orte, wo sie sonst nie kommen würden. Es ist ein natürlicher, öffentlicher Prozess. Ich sehe die Straße als ein ganz offenes Medium, wo alles passieren kann. Jemand wird angegriffen, jemand wird getötet und jemandem wird ein Haus bemalen. Es bleibt immer noch die Straße. Ich hatte in meinen Workshops ein vierjähriges Mädchen, aber auch einen 72-jährigen. Er malt gerade ein Graffiti auf sein Haus. Das finde ich absolut zauberhaft.
Ihre letzte Prager Ausstellung hieß „Inspirierte Kunst durch die Separation in U-Bahnen“. Ist die Metro nicht eher der Platz des Zusammentreffens als von Separation?
Ich denke, dass sie beide Funktionen erfüllt. Die Metro hört nicht auf mich zu faszinieren. Ich sauge das Visuelle in jeder Stadt ein, in der ich bin und sie hilft mir mich in der Stadt zu orientieren. Ich versuche zu dekodieren, was ich von der Stadt erwarten kann, wo ich eigentlich gelandet bin.
Sie schreiben ein Buch. Worum wird es sich handeln?
Der Arbeitsname heißt „Vier Leben“ und es basiert auf Tagebuchnotizen der ersten Hälfte der 90er Jahre bis heute. Ich habe nun die grobe Struktur und packe es langsam an. Ich werfe die Gewürze dazu. Es ist für mich ein Reinigungsprozess. Ich lebe permanent im Konflikt mit mir selbst. Ich fühle mich entwurzelt, da ich nicht in die klassische Gesellschaft eingegliedert bin. Ich versuche zu verstehen, was passiert ist und warum und ob es richtig ist. Und ob nicht etwas, was noch richtiger ist, passieren kann. Das Buch sollte in zwei-drei Jahren erscheinen.
Lucie Römer, Freie Journalistin